Die Krise jenseits der Krise

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Dieses Gespräch wurde im Sommer 2009 von Jacques Pelletier und François Cyr für die in Montréal, Québec, erscheinende Zeitschrift Nouveaux Cahiers du socialisme (Neue Hefte des Sozialismus) geführt und ist in der zweiten Ausgabe vom Herbst 2009, die dem Thema „Ihre Krise“ gewidmet ist, veröffentlicht worden.

Nouveaux Cahiers du socialisme: Wir sollten uns bemühen, ganz knapp den Charakter dieser Krise zu bestimmen, um darauf vorauszuschauen, welches Ausmaß sie einnehmen und welche Tragweite sie bekommen wird, vor allem aber, um den schmerzhaften Krisenlösungen entgegenzutreten, an die der Kapitalismus uns gewöhnt hat. Es geht nicht um Haarspaltereien, sondern um ein Verstehen im Blick auf das Handeln. Eine adäquate Analyse dieser Krise ist unerlässlich, meinen wir, um einen strategischen Rahmen oder ein Sofortprogramm auszuarbeiten, wie es beispielsweise die Neue Antikapitalistische Partei (NPA) vorschlägt. Um mit der Diskussion zu beginnen, wollen wir uns an eine Typologie wagen. Zunächst einmal lässt sich ein Lager der Leugnung ausmachen, von dem das Problem auf eine Frage der Kaufkraft reduziert wird, was mit der Überschuldung der Mittelklassen vor allem in den Vereinigten Staaten verbunden sei. Da sie nicht in der Lage sind, mehr zu konsumieren und die Plastikkreditkarten heiß laufen zu lassen, werden sie für das, was passiert, verantwortlich gemacht, und ihr fehlendes Vertrauen in die Zukunft wird getadelt. Fehlendes Vertrauen, das ist für diese Analyse das Schlüsselwort der Krise.
Andere versuchen die Krise durch Fahrlässigkeit bzw. die Unehrlichkeit bestimmter hochgestellter Personen im Finanzsektor zu erklären, die jeglichen Kontakt mit der Wirklichkeit verloren hätten. In diesem Zusammenhang heißt aus der Krise herauskommen dann ein Großreinemachen, wenn auch sehr partiell und ausgewählt, im Verbund mit einer adäquaten Regulierung, mit der man die wildesten Aspekte der Spekulation im Rahmen halten bzw. die Kontrolle der öffentlichen Hand verstärken will. „We are all socialist now“, hat Newsweek im Februar 2009 getitelt.
Und dann gibt es im Lager der globalisierungskritischen Linken offensichtlich Bemühungen, die Krise mit einer vertieften Analyse zu begreifen. Diese Krise ist nicht die erste und, leider, auch nicht die letzte: Sie haftet dem Kapitalismus an. Im Gegensatz zu den klassischen Überproduktionskrisen ist die hier aber aus einem Abgrund, dessen Boden nicht zu erblicken ist, zwischen der Realökonomie, in der die Güter und Dienstleistungen produziert werden, einerseits und der spekulativen Betätigung andererseits heraufgestiegen, die vierzigmal mehr Geld produziert, ohne dass ein Fitzelchen realer Wert produziert würde: Der wäre ja das Resultat von Arbeit. Das ist die These von der Kasinowirtschaft und ihrer neuen Herren, der Spekulanten, die eine Art von Banditentum im großen Maßstab praktizieren. „Croony capitalism“ hat Samir Amin gesagt. Was ist von all dem zu halten?

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