Brasiliens Arbeiterpartei (PT – Partido dos Trabalhadores) hat seit zwanzig Jahren eine Politik der Klassenunabhängigkeit vertreten und dabei eine Menge Erfahrung in den sozialen Kämpfen und in der Leitung der kommunalen Verwaltung, insbesondere durch die „partizipative Demokratie“, gesammelt. Diese Prinzipien werden durch das Herangehen bei den kommenden Präsidentschaftswahlen in Frage gestellt.
Die PT entstand 1979-1980 aus der großen Streikwelle der Metallarbeiter. Sie ist das gemeinsame Resultat der massiven Industrialisierung der 70er Jahre, die eine industrielle Arbeiterklasse geschaffen hat, die zu den am meisten in einer Region (hauptsächlich in São Paulo und Umgebung) konzentrierten gehört, und des demokratischen Widerstands gegen die Diktatur (vor allem gegen die Knebelung der Gewerkschaftsbewegung durch eine Gesetzgebung, die von Mussolini inspiriert war). Die Konstituierung der PT markiert einen kulturellen und historischen Bruch in Bezug auf die politischen Traditionen eines Landes, das weitgehend von der Kirche, den Militärs und vom Populismus beherrscht war.
Bei ihren ersten Teilnahmen an Wahlen Anfang der 80er Jahre, als das Ende der in den 60er Jahren installierten Diktatur ausgehandelt wurde, erreichte die PT nur 3% der Stimmen im nationalen Durchschnitt, mit Spitzenwerten von 10% im Bundesstaat São Paulo – letzteres aufgrund der besonderen Stärke der dortigen Arbeiterbewegung und der Ausstrahlung ihres Führers Luis Inácio da Silva, genannt „Lula“. Dies war jedoch der Ausgangspunkt einer Erfahrung von Klassenunabhängigkeit im nationalen Maßstab in einem Land so groß wie ein Kontinent, wo die Armee und die Kirche lange Zeit die einzigen real zentralisierten Kräfte waren und die politischen Parteien sich auf Koalitionen von Bonzen, Potentaten und ihrer Kliental auf lokaler oder regionaler Basis beschränkten.
Entstanden aus dem machtvollen Anstieg der städtischen und ländlichen Massenbewegung verankerte und entwickelte sich die PT während der 80er Jahre, so dass sie bei den Präsidentschaftswahlen von 1989 einen ersten Erfolg erzielte. Dieser Fortschritt geschah auf der Grundlage der Beteiligung der Partei an den Kämpfen der Massen. Die Gründungsplattform der PT widerspiegelte, ohne ein präzises strategisches Projekt oder Programm zu definieren, tatsächlich die Erfahrungen der jüngsten Kämpfe und brachte ein starkes Klassenbewusstsein zum Ausdruck („Arbeiter, wählt einen Arbeiter!“) sowie eine klare Verpflichtung zur politischen Klassenunabhängigkeit gegen alle populistischen Kompromisse der Verbindung von Kapital und Arbeit im Namen des nationalen Interesses.
Andererseits war diese pluralistische Massenpartei durch Debatten über die Vorstellung vom Sozialismus geprägt – Debatten, die von internationalen Erfahrungen (der Einfluss der kubanischen Revolution) ebenso genährt wurden wie von den verschiedenen Strömungen der radikalen Linken (trotzkistischen, maoistischen und castristischen Ursprungs), die seit Beginnn an der Bildung der PT beteiligt waren.
Die Anerkennung von Strömungen, das Stellen konkurrierender Anträge auf den Kongressen, die Repräsentanz von Minderheiten in den führenden Gremien haben bis heute erlaubt, und sei es zum Preis von Spannungen und Konflikten, die Einheit der Partei aufrecht zu erhalten, wobei die Legitimität des historischen Kerns aus Gewerkschaftsführern der Partei half, eine Zersplitterung zu vermeiden.
In den zwanzig Jahren ihrer Existenz hat die PT eine Menge Erfahrung in den sozialen Kämpfen, den Institutionen und bei der Führung von Kommunen gesammelt. Sie hat zweimal die Kommunalwahlen in der größten Stadt (São Paulo) gewonnen und regiert seit vier Amtsperioden in der Hauptstadt von Rio Grande do Sul, Porto Alegre.
In einem Land, in dem die soziale Ungleichheit krass ist, ist auch die PT von dem Phänomen der Korruption nicht verschont geblieben (was dazu führte, dass sie nach einer Amtszeit die Kontrolle über São Paulo verlor). Es ist daher zu betonen, dass, im Gegensatz zu dem Bild, das die reformistischen Strömungen abgeben, die Legitimität der Partei am stabilsten in Porto Alegre geblieben ist, wo sie am radikalsten ist und am weitesten links steht. Die Erfahrung des „Beteiligungshaushalts“ [siehe SoZ 7/02] weist auf die Entwicklung von Formen direkter Demokratie und eine Art von Doppelmacht zwischen den legalen Institutionen und der direkten Bürgerbeteiligung hin. Und schließlich ist Porto Alegre durch die dortige Organisierung der beiden ersten Weltsozialforen (2001 und 2002) gewissermaßen zur Welthauptstadt des Widerstands gegen die kapitalistische Globalisierung geworden.
Mit den kommenden Wahlen geht die PT wahrscheinlich der strengsten Bewährungsprobe ihrer Geschichte entgegen. Der Verschleiß der Eliten, die Krise, die der lateinamerikanische Kontinent durchmacht, die aktuelle Reorganisation der Beziehungen des gemeinsamen Marktes Mercosur (worin Brasilien eine führende Rolle spielt) zu Uruguay und das Projekt der Amerikanischen Freihandelszone (ALCA) markieren den Beginn einer turbulenten Phase. Einige Monate vor den Wahlen steht Lula mit etwa 40% an der Spitze der Meinungsumfragen, während die mediengestrickte Kandidatin der Rechten in einen Finanzskandal verwickelt ist. Vom möglichen Sieg fasziniert ist die PT bereits jetzt damit beschäftigt, die Bourgeoisie zu beruhigen, indem sie entgegen ihren Gründungsprinzipien ein Bündnis mit der Liberalen Partei (PL) eingegangen ist, dem Unternehmerverband Garantien gibt, den IWF bezüglich der Schuldenfrage beruhigt und ihre Verbindungen zur internationalen Sozialdemokratie verstärkt. Es besteht kein Zweifel daran, dass dieser Kurs zu tiefgreifender Enttäuschung führen und die interne Polarisierung verschärfen wird, was sich bereits jetzt in den Diskussionen abzeichnet.
Leicht gekürzt aus: Rouge, Nr.1981, 1.8.2002 (Übersetzung: hgm).
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