Linke Kräfte vor den Präsidentschaftswahlen in Frankreich uneins. Rechter Front National profitiert. Ein Gespräch mit Daniel Bensaïd.
Il Manifesto: Am 22. April findet die erste Wahlrunde um die französische Präsidentschaft statt. Wieso präsentiert sich die „Linke der Linken“ so gespalten?
Daniel Bensaïd: Die Bündnisfrage hat zur Spaltung geführt. Sie stellt sich unmittelbar nach den Präsidentschaftswahlen, aufgrund der im Juni stattfindenden Parlamentswahlen. Die „Kommunistische Revolutionäre Liga“ (LCR) hat eine klare Position: Wir schließen ein Bündnis mit der Sozialistischen Partei (PS) aus. Das ist eine zweite plurale Linke, die Le Pen mehr als 20 Prozent bescheren kann, nachdem er bereits 2002 im ersten Wahlgang 17 Prozent erhielt. Die Grünen und die Französische Kommunistische Partei (PCF) werden, wenn Ségolène Royal (PS) gewinnt, zum Bestandteil der Regierungsmehrheit. José Bové läuft Gefahr, dasselbe zu tun. Eine einheitliche Kandidatur war nicht zu realisieren.
Die Möglichkeit, daß die Bewegung gegen die EU-Verfassung eine ausreichende gemeinsame Grundlage schaffen könnte, wurde überschätzt. Die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen erfordern aber ein gemeinsames Projekt. Die Arbeiterpartei (PT) ist marginal und „Lutte Ouvrière“ (Arbeiterkampf – LO) ist immer allein angetreten, verfügt allerdings über eine Wählerschaft, die nicht unterschätzt werden sollte. Die radikale Linke weigerte sich, Wahlkampf für die PCF-Kandiatin, Marie-George Buffet, zu machen, weil sie Sorge hatte, die Partei am Ende in der Regierung mit der PS wiederzufinden. Die PCF hat zwar noch nicht entschieden, es ist aber wahrscheinlich, daß sie sich mit der PS verbündet, und sei es nur, um ihre Parlamentsfraktion zu retten.
Il Manifesto: Wie läßt sich das Vertrauen der Arbeiter zurückgewinnen?
D.B.: Die größte Arbeiterpartei ist mittlerweile Le Pens Front National; die zweitgrößte ist die extreme Linke. Es gibt sehr viel soziales Aufbegehren, das nach links gehen, aber auch in der Verzweiflung enden kann und die extreme Rechte stärkt. Diese Mehrheit für Le Pen kann nur durch eine unnachgiebige Ausrichtung der sozialen Kämpfe und die Ablehnung eines Bündnisses mit der Sozialistischen Partei verhindert werden.
Il Manifesto: Der Wahlkampf hatte mit dem Thema Arbeit begonnnen. Weshalb hat sich die sozialistische Kandidatin darauf eingelassen, das Thema zu wechseln?
D.B.: Aufgrund des Wohnungsproblems, das sich enorm verschärft hat, aufgrund der Produktionsverlagerungen und der Studentenproteste vor einem Jahr konzentrierte sich der Wahlkampf am Anfang auf die sozialen Probleme. Als der rechte Nicolas Sarkozy (UMP) dann die Schaffung eines Ministeriums für Immigration und Nationale Identität vorschlug, trat schlagartig eine Wende ein, die erneut zur Debatte über die nationale Identität führte. Royal hat reagiert, und versucht, ihm die Symbole der Identität zu entreißen. Ich bin sehr skeptisch, daß ihr das bei den Wahlen Vorteile verschafft. Eher wird es Sarkozy und Le Pen nützen. Ein Teil der linken Wählerschaft ist desorientiert. Während Royal einem taktischen Kalkül folgte, können die Konsequenzen ganz gravierend sein.
Il Manifesto: Warum scheinen viele linke Wähler von dem Vertreter der Mitte, François Bayrou (UDF), verführt zu werden?
D.B.: Das Problem ist, daß die Linke – zum zweiten Mal – nicht mehr als links erscheint. Royals einziges Projekt, wenn sie gewinnt, ist es, eine neue Version der pluralen Linken aus der Taufe zu heben. Sarkozy und Royal versuchen beide, sowohl rechts als auch links zu fischen. In diesem Kontext erscheint Bayrou beruhigender als Sarkozy, und der Vorschlag, ein Ministerium der nationalen Einheit zu schaffen, wirkt wie eine Politik des richtigen Maßes, da die Rechte und die Linke sich nicht mehr so sehr zu unterscheiden scheinen. Bayrou nutzt traditionelle Themen der Linken, besitzt sogar in den Banlieues [Vorstädten, jW] ein positives Image, hat ziemlich heftig auf die soziale Verachtung reagiert, die Sarkozy zeigt, und die nationale Wende des Wahlkampfes beklagt, während die sozialen Probleme beunruhigend blieben.
Das Problem ist, daß dieser Stimmenzuwachs für Bayrou wieder Le Pen ins Spiel bringt, wenn alle großen Kandidaten bei ungefähr 20 Prozent liegen. Und paradoxerweise ist es der ruhige Bayrou (wenn er gewählt wird), der in der gegenwärtigen Situation für die größte Unordnung sorgen kann. Er hat vorgeschlagen, 50 Prozent der Abgeordneten nach dem Verhältniswahlrecht zu wählen. Das politische Panorama Frankreichs würde dadurch komplett verändert. Es würden mindestens 50 Abgeordnete des Front National gewählt und ungefähr 20 der extremen Linken.
Interview: Anna Maria Merlo/Il Manifesto
Übersetzung: Andreas Schuchardt
April 2007